„Wie findet ihr meine Idee?“ Ingrid zeigt den Freundinnen ihre provisorische „cooking station“. Sie hat das Zimmer leergeräumt, in dem sonst ihre beiden Söhne die Schularbeiten machen und spielen, und einen schmalen Tisch bereitgestellt, den ein Zimmermann und Freund der Familie angefertigt hat. „Damit haben wir mehr Bewegungsfreiheit als in meiner kleinen Küche.“ „Einfach genial“, freuen sich Loan und Mary und legen ihre Lebensmittel auf die Holzplatte. Vor Loan türmt sich ein kleiner Berg auf. Kein Wunder, hatte sie als Köchin des Hauptgerichts doch die meisten Lebensmittel im Gepäck.
Hähnchenschenkel, Reispackung, Kräuter, Ingwerwurzel, Zwiebeln, Knoblauchzehen, vielerlei Gemüse und Gewürze liegen bereit. „Ihr müsst mir ein bisschen helfen“, fordert sie ihre Mitstreiterinnen auf und demonstriert erst einmal, wie Ingrid die Möhren bearbeiten soll. Ingrid ahnt schon, was auf sie zukommt. Immerhin werden in der asiatischen Küche Gemüse und Obst oft kunstvoll mit Schnitzereien verziert. Und sie erinnert sich, dass sie ihrem Mann, der so gern asiatisch isst, einmal zu seinem Geburtstag ein asiatisches Essen geschenkt hat. „Dabei hat mir Loan geholfen, und es war köstlich.“ „Ja, das Auge isst mit“, meint Loan ungerührt und zeigt, wie sie aus der geputzten Möhre der Länge nach mit einem scharfen Messer keilförmige Streifen herausschneidet. Der Sinn der Prozedur? Teilt sie die Möhren dann in dünne Scheiben, sehen sie so schön aus wie stilisierte Blütenblätter.
Für Ingrid, die Profiköchin, ist die kleine Schnitzerei kein Problem. Einmal zuschauen, schon beherrscht sie ihre Arbeit. Mary dagegen beschäftigt sich lieber mit dem profanen Zwiebelschälen. „Die müssen aber nicht geschnitzt werden?“, fragt sie leicht zweifelnd in die Runde. Inzwischen hat Loan die Hühnerschenkel von der Haut befreit, das Fleisch von den Knochen gelöst und begonnen, die Gewürzpaste im mitgebrachten Mörser zuzubereiten. „Die Paste ist für den richtigen Geschmack entscheidend. Das Kokoshuhn-Gericht wird in Vietnam oft zu Feierlichkeiten wie Hochzeiten serviert.“ Ihr kleiner Trick, der nicht im Rezept steht: Bevor sie die Gewürzpaste in den Topf rührt, brät sie die Haut des Hühnchenfleischs kurz an. Fett ist Geschmacksträger. Ingrid würfelt die Matjesfilets für ihr Tatar. „Wir essen zu wenig Fisch“, kommentiert sie und berichtet, dass die Niederländer dem Start der Matjessaison jedes Jahr erneut entgegenfiebern. Wenn das erste Fässchen symbolisch geöffnet ist, gibt es endlich Antwort auf die Frage: Wie schmeckt der „Hollandse Nieuwe“, der neue Matjes?
Jetzt aber zieht erst einmal unvergleichlicher Duft durchs Haus: ein Mix aus Kokosmilch, Curry, Zitronengras und Koriander. „Wir müssen probieren!“ Mary und Ingrid schnappen sich einen Löffel und beugen sich über Loans Köstlichkeit. „Oh my god“, ruft Mary und verdreht vor Entzücken die Augen. Sie ist mit dem Dessert an der Reihe. Den Boden hat sie bereits zu Hause gebacken. „In Australien kann man fertige Baiserböden in allen Supermärkten kaufen. Damit bleibt einem das Nachdenken erspart, wie man die vielen Eigelb außer als Rührei noch verarbeiten kann.“ Beim Schlagen der Sahne fragt Mary: „Wusstet ihr, dass der leckere Baiserkuchen nach der russischen Primaballerina Anna Pawlowa benannt wurde? Ihr weißes Tutu hat den Erfinder, dessen Namen niemand mehr weiß, zum luftigen Baiser inspiriert, als sie in Neuseeland und Australien in den 1930er-Jahren auftrat. Zwar streiten sich Neuseeland und Australien, wer es erfand, aber auf alle Fälle gilt es in beiden Ländern immer noch als Nationalspeise.“
Sie streicht die Schlagsahne auf das Baiser und häufelt das Beerengemisch darüber. Zum Schluss gibt sie obendrauf noch ein paar Löffelchen vom säuerlichen Maracujafruchtfleisch. Es klingelt. Alice aus Hongkong und Heide, die mit allen Damen einen deutschen Konversationszirkel betreibt, stehen vor der Tür. Als alle am schön gedeckten Tisch sitzen, zieht Mary Bilanz: „Jede von uns vertritt eine andere Welt. Wie wunderbar ist es doch, dass wir heute das Beste aus unseren Heimatländern kennenlernen durften.“