Ein Abend, drei Kontinente
Zupfkuchen aus Polen, eine kolumbianische Platte mit viel Heimatgefühl und eine Vorspeise aus Taiwan, die eigentlich aus China kommt: In einer Küche zwischen Kiel und Eckernförde entstand in einer launigen Runde ein Hierleben-Menü, das drei Kontinente auf einen Tisch bringt.
Foto(s): Henrik Matzen
Jo Chang
Jo Chang ist 46 Jahre alt, lebte schon in England, in der Schweiz, bis 2018 wieder in Taiwan und seither in Kiel. Deutsch hat sie mit ihrer neunjährigen Tochter gelernt, die zu Hause auch noch mit Chinesisch und Englisch aufwächst. Die fröhliche Uni-Angestellte plaudert über ihren internationalen Alltag und lacht, als sie erzählt: „Ich esse dreimal am Tag warm.” Das ist typisch taiwanesisch, während ihr deutscher Mann nur eine warme Mahlzeit braucht. Diesen interkulturellen Spagat meistert Hobbyköchin Jo täglich ohne Mühe.
Sergio Hincapie Perilla
Der Kolumbianer Sergio Hincapie Perilla kam 2009 zum ersten Mal nach Europa: Das Maschinenbaustudium führte ihn nach Finnland und anschließend nach Dänemark. „Ich wollte meinen Master schon immer in Frankreich oder Deutschland machen”, sagt der 36-Jährige, schmunzelt und fügt hinzu: „Das hat mit Helsinki und Kopenhagen nicht ganz geklappt.” Dafür zog er 2017 der Liebe wegen nach Deutschland, lernte in Braunschweig Deutsch und lebt seit Anfang des Jahres mit seiner Frau Deborah in der Nähe von Kiel.
Justyna Adelung
Im polnischen Mragowo (Masuren) kam Justyna Adelung über ihren Papa früh in Kontakt mit dem Segelsport. „Ich habe von der Kieler Woche gehört, wollte auf ein großes Segelschiff und bin 1996 nach Kiel gezogen.” Da hatte sie in Danzig schon auf Lehramt studiert, wechselte in Kiel auf Skandinavistik und wollte weiterziehen nach Schweden. „Dann habe ich meinen Mann Rainer kennengelernt und bin in Kiel geblieben”, verrät die 46-Jährige, die zwei- bis dreimal täglich warm kocht – und zu Ostern und Weihnachten auch „richtig polnisch”.

Wisst ihr was? Mein Kuchen muss für eine Stunde in den Ofen und dann abkühlen. Ich lege schon mal los, damit der Nachtisch pünktlich fertig ist.” Kaum, dass die drei Hobbyköche ihre Zutaten platziert haben, schreitet Justyna Adelung auch schon zur Tat. Jo Chang hat derweil bereits den Wok für die Vorspeise in der Hand. Bei Hausherr Sergio Hincapie Perilla liegt der Reis parat, während Justyna mit Blick auf seinen Herd feststellt: „Oh, da kocht ja schon etwas!“ Es sind die Bohnen für Sergios Hauptgericht, die seit dem Vorabend im Wasser lagen und nun zusammen mit ein paar Möhren und einer Frühlingszwiebel vor sich hin köcheln. Wichtig, so Sergio: „Salz und Pfeffer dürfen erst ganz zum Schluss mit rein. Wenn man das zu Beginn macht, bleiben die Bohnen hart.”

Schnell haben die drei Köche entschieden, wie sie die Gänge, die unterschiedlich viel Zeit in Anspruch nehmen, aufeinander abstimmen. Nun hat man Mühe, Handschlägen, Erklärungen und vor allem dem vielen Lachen zu folgen. Hier wird mit Konzentration und Präzision Knoblauch zerteilt, dort heult der Mixer los. Justyna schabt gefrorenen Kuchenteig laut ratschend über eine Käsereibe. Und schon gibt’s in Sergios Arbeitsecke wieder was zu lernen: „Ich mache den Reis etwas anders, brate ihn erst in Oliven- oder Sonnenblumenöl an und gebe dann das Wasser hinzu.” Reis ist, neben einer würzig-frischen Tunke aus Tomaten, Frühlingszwiebeln und Limette, eine von zwei Standardbeilagen von Bandeja Paisa. Das heißt übersetzt so viel wie „Platte aus der Region Paisa”, der Heimat von Sergio. Dort, in der Gegend um die Stadt Medellin, kocht man traditionell viel mit Bohnen. Sergio hat Bandeja Paisa gewählt, „weil es einfach lecker und eines meiner liebsten Kindheitsgerichte ist”. Zwar gibt es heute nur eine kleine Version dieses kolumbianischen Alltagsessens, doch die überzeugt später alle am Tisch. Justyna mag den rauchigen Geschmack der scharf angebratenen Chorizo-Würste. Beim Anrichten wird vorsichtig nach links und rechts geschielt: Macht man das wirklich so? Ja, der Bohneneintopf ruht in einer Portionsschüssel, die Beilagen gibt man einfach hinzu. So, wie man’s eben mag. Als Sergio zu einem Stück Banane greift, sind alle skeptisch: Banane zu Bohnen? Okay. Man probiert. Immer noch zögerlich. Dann ein positiv-erstauntes „Mmmmh!”. Einigkeit am Tisch der drei Kontinente: Bandeja Paisa gibt’s ab jetzt für alle nur noch mit Banane!
Auch Jo hat eine Überraschung parat. Nicht nur, dass ihre Vorspeise Mapo Tofu ursprünglich aus China kommt, wie viele taiwanesische Alltagsgerichte. Nein, sie hat gleich zwei Varianten gezaubert, einmal mit festem und einmal mit Seidentofu. Die anderen Zutaten sind identisch. Wow! Der Unterschied in der Konsistenz des Tofus verändert die gesamte Wahrnehmung von Mapo Tofu. Wie es wohl für Jo sein muss, dass sie diesen „scharf gebratenen Tofu”, dem unter anderem eine kleine Portion Hackfleisch und Chilibohnen-Paste beigemengt werden, gar nicht so scharf zubereitet, mit Rücksicht auf europäisches Schärfeempfinden …?
Als Justyna schließlich mit einem langen Messer vorsichtig durch ihren abgekühlten Kuchen knistert, fragt sie fröhlich in die Runde: „Wer möchte denn so eine Knusperecke?” Exakt das ist es, was einen erwartet, wenn man diesen polnischen Zupfkuchen kostet, den die Kunsthandwerkerin auf einem hübsch beigegesprenkelten Teller aus ihrer eigenen Töpferwerkstatt serviert: eine süchtig machende Mischung aus knusprigem Teig, süßer Creme und intensiv schmeckender Konfitüre. „Ich nehme hierfür am liebsten schwarze Johannisbeeren, und zwar aus dem Garten meiner Schwiegereltern”, verrät Justyna, für die dieser Kuchen mit besonderen Kindheitserinnerungen verbunden ist: „‚Skubaniec’ ist der Kuchen, den es bei uns nie gab. Ich mochte den total gern, aber meine Mutter hat genau diesen Kuchen nie gebacken.” Justyna lacht, die Runde lacht mit. Was für ein entspannt-fröhlicher Abend!
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