Emotionen auf dem Teller

Zwei südasiatische Hobbyköche treffen auf eine Amerikanerin mit einer ganz genauen Vorstellung vom perfekten American Pie. Eine Kombination, die der internationalen Kochrunde von Hierleben einen ganz besonderen Reiz verleiht.

Foto(s): Frederik Röh
Sindu Shree
Das Zubereiten köstlicher Speisen hat Sindu in Deutschland gelernt. „Ich habe fast jeden Tag meine Mutter in Indien angerufen und sie ausgefragt“, erzählt die 25-jährige Doktorandin. Bevor die Materialwissenschaftlerin für ihr Master- studium nach Deutschland kam, musste sie nie selbst kochen. Das war die Domäne der kochbegabten Mutter und Großmutter. „Wenn ich aufstand, war mein Frühstück zubereitet und das Lunchpaket gepackt.“ Heute wird die Kochkunst der fröhlichen Sindu, die zudem gern zu Bollywood-Klängen tanzt, sehr geschätzt von ihren Nachbarn. Das liebevolle Teilen hat sie aus ihrer Heimat mitgebracht.
Asad Khan
Cricket ist in Pakistan die unumstrittene Sportart Nummer eins, so bedeutend wie Fußball in Europa. Auch Asad spielt das Schlagballspiel zwar ausgesprochen gern, trifft sich in Hamburg allerdings mehr zum Badminton mit seinen Studienfreunden. Soviel zu den älteren Gewohnheiten. Neuer ist, dass sich der 23-jährige Student gern mit dem Zubereiten traditioneller Gerichte aus seiner Heimat beschäftigt. Das Rezept für „White Chicken Karahi “, das Asad zubereitet, ist sehr beliebt in seiner Heimat und ein wunderbar würziges Wohlfühlessen – nicht nur für ihn, sondern auch für internationale Freunde.
Adriana Stein
Als Kind hat Adriana selten frisch zubereitetes Essen genießen können. Ihre Mutter starb, als sie klein war, und sie machte sich meist Fertiggerichte in der Mikrowelle warm. „Nur, wenn ich an Feiertagen bei meinen Großeltern war, gab es Gemüse und Früchte aus deren Garten“, erzählt die 23-jährige Englischlehrerin. Das Interesse am Kochen wuchs, als sie mit 18 nach Portland in Oregon zog, um dort zu studieren. „Heute koche ich eigentlich jeden Tag etwa eine Stunde. Es entspannt mich herrlich. Kochen und Essen gehören zu meinen liebsten Hobbys.“ Ein großer Traum von Adriana ist ein eigener großer Garten.

Es ist eine durchaus ernstzunehmende Angelegenheit, das Backen eines „Pie“. Schließlich feiern Amerikaner sogar jedes Jahr am 23. Januar den „National Pie Day“, den Tag des Kuchens. Aber heißt Kuchen nicht auch „Cake“, ist das eigentlich das Gleiche? Das fragen sich die Teilnehmer der Hierleben-Kochrunde.

„Auf keinen Fall!“ Adriana ist da sehr entschieden. „Nein, Cake und Pie sind natürlich nicht das Gleiche“, sagt sie und lacht. Die Amerikanerin, die in Hamburg als Englischlehrerin arbeitet, erklärt es ganz genau: Eine Torte, der „Cake“, hat ein „Frosting“, auf deutsch eine Glasur. Der „Pie“ wiederum, ein Kuchen oder eine Pastete, habe das nicht, dafür aber eine Füllung. Wieder etwas dazugelernt.

Das Dessert geht als Erstes in die Vorbereitung, denn es dauert am längsten. Schwungvoll holt Adriana die Butter aus dem Kühlschrank und bittet Asad und Sindu, diese mit dem Mehl zu einem Teig zu kneten. „How to make a pie crust“ – wie man also den perfekten Kuchen oder Pastetenteig zubereitet – ist ein beliebter amerikanischer Wettstreit. Asad lacht und genießt das Kochen und Backen.

Zu Hause in Pakistan hat Mama niemanden an die Töpfe gelassen, aber jetzt in der Ferne ist der Student zum bekannten und begehrten Hobbykoch in seinem Freundeskreis avanciert. Der Teig kommt in den Kühlschrank, nun geht’s flugs an die Vorspeise. Die eingeweichten Hülsenfrüchte müssen verfeinert und gewürzt werden.

Sindu liebt die „Masala Vada“, frittierte Kichererbsen-Küchlein, die ihre Mutter immer mit einem ganz besonderen Kraut zubereitet hat: mit Dill. Entsprechend entzückt ist Sindu darüber, wie günstig das vielseitige Kraut in Deutschland zu erstehen ist. Ohnehin wundern sich alle drei Kochrunden-Teilnehmer immer wieder, wie gut und preiswert man hierzulande einkaufen kann. Und die deutsche Kochkunst? Asad fallen als allererstes Kartoffeln ein. Sindu mag Knödel und Spätzle. Adriana ist begeistert vom deutschen Brot. Die anderen beiden stimmen ein in den Lobgesang. „Was für eine riesige Auswahl an Brotsorten es hier gibt“, sagt Asad. „Das ist großartig.“ Sindu versteht, dass die Deutschen die Brotabwechslung schmerzlich vermissen, wenn sie im Ausland sind.

Zurück zu den Kichererbsen-Küchlein. Schnell sind die kleinen Bälle für den ersten Gang geformt. Adriana würzt, Asad drückt sanft die Kugeln aus Kichererbsen platt, Sindu lässt das Ergebnis in den Topf mit dem brodelnden Sonnenblumenöl gleiten. Bald sind die herrlich nach Gewürzen duftenden Vada fertig. Sindu kostet und lächelt zufrieden. Ein Stück Heimat, etwas Kindheit und eine Prise Sehnsucht.

Auch Asads Hauptgang ist etwas Emotionales für ihn. „White Chicken Karahi ist sehr berühmt für unsere Region Punjab in Pakistan. Wir bestellen es eigentlich immer, wenn wir in Restaurants essen.“ Sindu und Adriana helfen. Ingwer und Knoblauch werden im Stabmixer zu einer Paste vermengt. Sie schneiden den Koriander und geben die Gewürze in die Pfanne. Routiniert röstet Sindu schwarzen Pfeffer, Kreuzkümmel und Chilischoten an. Adriana gießt Sahne zum Hähnchen. Alle drei Kochrunden-Teilnehmer sind mittlerweile geübte Hobbyköche, obwohl sie erst als junge Erwachsene, fern von zu Hause, das Kochen gelernt haben. „Es ist wie Meditation für mich“, sagt Sindu. „Das Kochen ist sehr entspannend und gibt mir Ruhe. Vor allem nach einem anstrengenden Tag in der Uni.“ Nun ist auch der Teig für den Pie genügend durchgekühlt. Adriana schneidet die frischen Früchte und zuckert sie. Asad fällt mit einem neuen Talent auf: Der Pie-Teig ist perfekt rund ausgerollt.

Jetzt ist Zeit für Adrianas Trick: Sie rollt den Teig langsam auf das Nudelholz – um ihn dann in die Kuchenform abzurollen. Der Rand des Teigbodens lappt über die Form hinaus. Die Fruchtmischung kommt auf den Teigboden, dann folgt die zweite Hälfte des „Crust“ als Deckel des Kunstwerks. „Bitte den Teig gut verschließen, es darf keine Füllung auslaufen.“ Adriana ist glücklich mit dem knusprigen, nach Beeren duftenden Ergebnis, und auch die anderen strahlen. Was für ein abschließender Genuss nach den beiden köstlich würzigen Gängen aus Südasien.

Ja, es ist eindeutig ein American Pie – und natürlich kein Cake.

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