Es riecht nach Heimat

Eine verschlug die Liebe hierher, die andere ist geflohen, die dritte kam zusammen mit den Eltern: Die drei Köchinnen dieser Hierleben-Runde landeten aus ganz unterschiedlichen Gründen in Deutschland. Doch die Liebe zum Essen verbindet sie sofort.

Foto(s): Frederik Röh
Cecilia Farias Marchant
Es gibt wahrscheinlich kaum eine sportliche Herausforderung, der sich Cecilia noch nicht gestellt hat. Ob Ultramarathon in Südafrika, die Mont-Blanc-Umrundung mit dem Mountainbike, Kajak fahren oder Triathlon: Die Marketing-Projektleiterin, deren Eltern aus Chile sind, wagt immer neue Abenteuer und lässt kaum eine Sportart aus. Auch an den Töpfen ist sie mutig. Neben der traditionell chilenischen Küche kocht sie leidenschaftlich gern italienische Klassiker oder auch deutsche Köstlichkeiten. Sie liebt lateinamerikanische Musik und tanzt Salsa. Mit viel Leidenschaft – wie es sich für eine temperamentvolle Latina gehört.
Fedan Shekhmosa
Vor zwei Jahren kam Fedan nach Deutschland. Sie wuchs in der kurdischen Region Afrin in Syrien auf, lebte bis zur neunten Klasse dort in einem kleinen Dorf. Danach zog sie nach Aleppo, machte dort ihr Abitur und studierte anschließend in der Hauptstadt Damaskus. Die Lehrerin für Kunst und Handwerk hat einen fünfjährigen Sohn und spricht neben Kurdisch, Arabisch und Deutsch auch Türkisch. Schon als Kind interessierte Fedan sich fürs Kochen. „Ich habe immer in die Töpfe meiner Mutter geschaut“, sagt sie. „Die kurdische Küche ist sehr besonders.“ Außerdem liebt sie es, Gitarre zu spielen, und jobbt am Theater in Itzehoe.
Katy El Seyofi
Für ihren Humor sind sie ja berühmt, die Briten. Katy ist da keine Ausnahme. Die fröhliche Engländerin bringt ihre Freunde und Familie oft mit ihren trockenen Witzen zum Lachen. Sie arbeitet in der Filmbranche, guckt gern gute amerikanische und englische Serien, hört viel Musik und entspannt durch Ausdauersport wie Laufen. Für die Hierleben-Runde hat sie als Dessert einen englischen Kuchenklassiker gewählt. „Ich bin keine Meisterköchin“, sagt sie, „aber ab jetzt werde ich den Apple Crumble perfektionieren.“ Schon um Mama zu beeindrucken. „Sie hat mich immer ermuntert und mir den Kochbuchklassiker von Delia Smith geschenkt.“

Dieser Duft ist nicht zu übertreffen: Es riecht nach frischem Apfelkuchen im Haus von Katy El Seyofi im Hamburger Alstertal. Die Engländerin ist heute Gastgeberin für die internationale Hierleben-Kochrunde, die schon so manches interessante Menü hervorgebracht hat. Auch heute wieder verspricht die Kombination aus chilenischen, syrischen und englischen Rezepten eine spannende kulinarische Reise.

Doch von vorn. Obwohl Katy Britin ist, bereitet sie dennoch für die heutige Kochrunde keinen Nachmittagstee, sondern empfängt ihre Gäste mit ein wenig englischem Perlwein und Wasser. Das kann aber auch daran liegen, dass es längst um einiges später als 17 Uhr ist. „Let’s get started – los geht’s“, sagt sie fröhlich und führt in ihre helle Küche. So ein Menü, noch dazu von drei Köchen zubereitet, will gut strukturiert zubereitet werden. Deshalb überlegen sie, die Chilenin Cecilia und die Kurdin Sedan, womit sie am besten anfangen.

Das Hauptgericht, das mit Hefe zubereitet wird, braucht am längsten – also werden erst einmal die Zwiebeln für das kurdische Gericht Kobalma geschnippelt. „Für uns ist das ein besonderes Gericht, das wir gern servieren, wenn die ganze Familie zusammen ist“, erzählt Fedan, die vor zwei Jahren mit ihrem kleinen Sohn aus Syrien nach Deutschland floh. Vier Wochen waren sie mit dem Boot und über den Landweg unterwegs. „Du sprichst unglaublich gut Deutsch für diese kurze Zeit, die du hier lebst“, findet Cecilia. „Mir ist das sehr wichtig, um mich hier wohlzufühlen und zu integrieren“, erwidert Fedan. Sie hat gleich Sprachkurse besucht, als sie nach Itzehoe in Schleswig-Holstein zu ihrem Mann kam, der schon einige Zeit vorher Syrien verlassen musste.

Zurück zur Arbeitsplatte. Fedan knetet den Teig. Cecilia vermengt fürs Dessert schon mal die Äpfel mit Zimt und gemahlenen Nelken zur Crumble-Füllung. Katy siebt das Mehl. Alles soll so sein, wie sie es von ihrer Mutter gelernt hat. Mit welchen Traditionen wird man denn eigentlich in Großbritannien groß? Katys Antwort ist fix: alles als „Roast“ – ob Rind, Lamm oder Hähnchen. „Wir lieben den Sunday Roast.“ Am Sonntag gibt es Braten, das zumindest gehört zu den Jugenderinnerungen von Katy. „Das Wichtigste für uns ist: Nimm nie die falsche Soße. Immer Minzsoße zu Lamm beispielsweise, Apfelsoße zum Schweinebraten und Cranberry Jelly zum Truthahn.“

Cecilia lacht. „Auch wir haben unsere Traditionen, an die sich alle halten.“ Am 15. September zelebriert man in Chile den Beginn des Unabhängigkeitsprozesses von Spanien im Jahr 1810. „An diesem Tag kommt meine große Familie, also alle, die in Deutschland leben, zusammen und wir feiern gemeinsam die ‚Fiestas Patrias’. Das ist eine Riesenparty mit sehr reichlichem Essen, Empanadas und dem chilenischen Salat zum Beispiel! Außerdem trinken wir dazu ‚Pisco Sour‘-Cocktails.“

Das Trio tauscht sich nicht nur über die unterschiedlichen Essensgewohnheiten aus, während alle zusammen das Menü zaubern. Vor allem die Ursachen, wegen derer sie ihr Heimatland verlassen haben, interessieren die drei. „Wir sind alle aus komplett unterschiedlichen Gründen nach Deutschland gekommen“, stellt Cecilia fest. Sie ist in Deutschland geboren, lebte als Kleinkind ein paar Jahre mit ihren chilenischen Eltern in Südamerika und kam als knapp Vierjährige wieder mit ihrer Familie nach Hamburg, denn die Eltern wollten ihren Kindern eine gute Ausbildung bieten. „Mein Vater konnte nur ein paar Jahre lang quasi heimlich zur Schule gehen. Das hat ihn sehr geprägt.“

Katy kam als junge Erwachsene nach Norddeutschland, weil sie sich in einen Deutschen verliebt hatte. Fedan hat wegen des Bürgerkriegs und der Verfolgung der Kurden ihre Heimat in Syrien verlassen. „Das war ein großer, beängstigender Schritt für uns“, erzählt Fedan. „Man lässt immer einen Teil von sich in der Heimat zurück.“ Darüber sind sich alle einig. Umso wichtiger ist es ihnen, Rituale und leckere Gerichte zu pflegen, die sie seit der Kindheit kennen und schätzen. Nun wird schnell noch der chilenische Salat gezaubert, werden Tomaten in dünne Scheiben geschnitten und die Kräuter gezupft. Katy schiebt den Apfelkuchen in den Ofen. Der Tisch wird gedeckt, und während des Essens diskutieren alle über Heimat.

Beim gemeinsamen Kochen ist tatsächlich schnell ein Gefühl von Verständnis gewachsen. Und das ist mindestens so schön wie der Duft von Katys Kuchen.

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