Gerichte mit Geschichte
Manchmal ist es eine persönliche Erinnerung und so etwas wie der Geschmack der Kindheit, manchmal gehört ein Essen seit Jahrhunderten zur Küche der Heimat. Wie gut, wenn das Wissen über Nationalgerichte an die nächste Generation weitergegeben wird. So, wie es das diesmalige Hierleben-Kochtrio selbst erfahren hat.
Foto(s): Henrik Matzen
Susan Ibrahim Abdulrazag
In ihrer alten Heimat Irak hat Susan als Sportlehrerin Abiturklassen unterrichtet. Seit 2020 lebt sie mit ihrem Mann und drei Söhnen in Deutschland und arbeitet im Familienzentrum Eggebek in Schleswig-Holstein als pädagogische Assistentin. Ihr kulinarisches Können zeigt die 44-Jährige bei internationalen Begegnungen oder Bürgerfesten: „Ich liebe es, Speisen vorzubereiten und den Menschen die Vielfalt der arabischen Küche nahezubringen“, sagt sie. Seit Kurzem begleitet sie in Delfi®-Kursen Familien mit Babys.
Marina Isik
Gerade schreibt Marina an einem Buch über Permanent Make-up. „Kosmetik war mein Hobby, jetzt habe ich es zum Beruf gemacht“, erzählt die 41-Jährige, die zwei erwachsene Kinder und einen fünfjährigen Sohn hat. Mit dem Junior und ihrem Mann wohnt sie in Böklund. 2004 kam sie als Spätaussiedlerin aus Kasachstan. „Mit meinen Eltern und beiden Omas“, erzählt sie. Da war sie 21, Studentin der russischen Sprache und Literatur und schon verheiratet und Mutter. „Das war ganz normal bei uns“, erzählt sie und lacht.
Yagmur Balim
Ihr Vorname bedeutet auf Türkisch „Regen“. „Ohne Regen keine Ernte“ – sagt Yagmur und zwinkert. Vor 32 Jahren kam sie in Böklund zur Welt. Sie spricht fließend türkisch und mag es, in die warme Heimat ihrer Eltern zu reisen. „Am liebsten nach Istanbul – auch wenn da viel Trubel ist. Diese Stadt schläft nie.“ Yagmur arbeitet als mobile Frisörin, abends nimmt sie sich Zeit für Fitnesstraining und Pilates. Praktisch, dass ihre Mama in der Nähe wohnt und währenddessen auf die beiden Kinder aufpassen kann.

Marinas Küche ist einfach ideal für eine gesellige Kochrunde: Groß, aufgeräumt und gemütlich, dazu mit allem ausgestattet, was zum Kochen gebraucht wird – und für stilvolles Servieren. Aus einem Schrank zaubert die Gastgeberin geschliffene Glasschälchen für die Süßspeise ihrer Freundin Yagmur. „Wir sind fast so etwas wie Familie“, sagt Marina, deren Mann ebenfalls aus der Türkei stammt. Auch Susan versteht türkisch. „Zu Hause reden wir turkmenisch, ich kann auch Arabisch, Kurdisch und Deutsch. Meine Kinder sprechen außerdem Schwedisch, wir haben fünf Jahre in Schweden gewohnt. Und Englisch, das lernen sie hier auf dem Gymnasium.“ „Dein Deutsch ist super“, lobt Marina, die mit der russischen Sprache aufgewachsen ist. Sie erzählt eine berührende Geschichte von ihrer Oma, die in Norddeutschland geboren worden ist und in den Kriegswirren als kleines Kind ohne Eltern nach Kasachstan gelangte. „Sie schimpfte nicht auf russisch, sondern auf plattdeutsch. ‚Pfui Deibel‘ kannte ich schon als Kind.“

Die drei Frauen sind erfahrene Hobbyköchinnen und arbeiten fix. „In spätestens zwei Stunden können wir essen“, sagt Marina. Den Tisch hat sie schon gedeckt. Yagmur ist besonders entspannt. „Mein Gericht ist ganz einfach, ich bin in zehn Minuten fertig“, sagt sie. Da sie für ihren Pudding kein Reismehl bekommen hat, googelt sie kurz, ob sie zum Binden auch Maismehl verwenden kann. Ja – passt. „Wichtig ist, dass man wirklich immer rührt, damit nichts ansetzt“, empfiehlt sie. Sie füllt die warme Masse in die Schälchen und stellt sie in den Kühlschrank. Der Name der Speise „Keskül“ leitet sich übrigens von einem Gefäß ab, dem „Napf“ aus einer Kokosnussschale. Eine Legende sagt, dass im osmanischen Reich Derwische und Richter – als Bettler verkleidet – darin Almosen sammelten, die an die Armenküche weitergegeben wurden. Dort wurde dann Pudding für Bedürftige zubereitet.
Das Gericht Börek soll ebenfalls im osmanischen Reich entstanden sein und ist in vielen Ländern des Orients sowohl Festessen als auch Alltagsgericht. Susan zeigt Fotos: Börek darf bei großen Büfetts nicht fehlen. Schnell hat sie Zwiebeln und Spinat angebraten und mit der Käsemischung verrührt. Ein Klacks Füllung auf den Teig, einschlagen, aufrollen, Spitze andrücken und ab aufs Backblech. „Ich mache die ein- oder zweimal pro Woche, mit Gemüse, mit Käse oder auch mit Kartoffeln“, erklärt sie. „Lecker! Bei uns frittieren wir sie, dann sind sie so richtig crunchy“, schwärmt Yagmur und grinst dann kurz. „Aber nicht so gesund.“
Zu Marinas Gericht Zhaima, ausgesprochen mit einem „Dsch“ am Anfang, gibt es auch eine Geschichte: „Das ist ein altes kasachisches Gericht. Junge Leute kennen es kaum noch.“ Wieder spricht sie von ihrer Oma. „Sie hat es mir beigebracht, der Geschmack ist eine richtige Kindheitserinnerung. Die Teigröllchen sehen ein bisschen wie grüne Blätter aus, daher der Name.“ Wichtig sei gutes, aromatisches Rindfleisch. Marina hat Gulasch und Suppenfleisch gekauft und im Schnellkochtopf vorgegart. Für das Ausrollen des Teiges verwendet sie einen dünnen Stab aus Holz. „Bei uns heißt das ‚Oklava‘,viel praktischer als eine schwere Teigrolle“, ergänzt Yagmur.
Marina bittet sie, ihr zu helfen, „Blätter“ aus dem Nudelteig zu formen. Die garen dann auf dem Gericht im Dampf. Susan formt hobeldünne Gurkenscheiben kunstvoll zu Blüten und schnitzt Tomaten-Körbchen, die sie um die warmen Börek- Rollen verteilt. Yagmur verziert den Keskül mit gehackten Pistazien, und Marina holt eine Schüssel von beeindruckender Größe aus dem Schrank: „Sie muss groß sein, sonst ist es nicht kasachisch“, sagt sie mit Nachdruck. Die „Blätter“, die sie vor dem Umfüllen vorsichtig beiseitegelegt hat, arrangiert sie auf dem duftenden Gericht. Frische Kräuter drüber – Essen ist fertig! In knapp zwei Stunden, wie vorausgesagt.
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