Heimat auf der Zunge

Auf dem Menüplan unserer Köche stehen ihre Lieblingsrezepte. Es sind köstliche Erinnerungen an Kindheit und Heimat. Dabei kommt die Hierleben-Kochrunde so richtig in Fahrt, zumal swingende Jazzmusik ihre Kochkünste beflügelt.

Foto(s): Frederik Röh
Slawa Vaynshteyn
„Ich liebe Programmieren“, sagt die 22-jährige IT-Expertin. Neben der täglichen Arbeit bei einer großen Versicherung in Hannover studiert sie fleißig, um ihr Masterstudium zu Ende zu bringen. Trotzdem bleibt noch Zeit für Hobbys. Sie malt gern, spielt sehr gut Klavier und ebenso gekonnt Gitarre. Die Liebe zur Musik kommt von der Mama, einer Klavierlehrerin. Slawa ist außerdem leidenschaftliche Köchin. „Ich experimentiere gern und bevorzuge die leichte Küche.“ Für die Kochrunde hat sie den ukrainischen Festtagssalat ausgewählt. „Er schmeckt nach Kindheit in Kiew!“ Hier war Slawa bis zu ihrem fünften Lebensjahr zu Hause.
Mesih Beken
Kochen gelernt hat Mesih bei seiner Mutter in Ankara. Da galt er als Ausnahmefall, denn in der Türkei halten traditionell die Frauen den Kochlöffel hoch. Als Tänzer kam er vor 37 Jahren zu einem Gastspiel nach Deutschland. Ein Engagement in Hildesheim bewog ihn zum Bleiben. Beim Tanz in den Mai lernte er Annegret kennen. Sie brachte drei Kinder mit in die Ehe, gemeinsam bekamen sie zwei Söhne. Heute ist die Kinderschar erwachsen, versammelt sich aber immer noch gern am elterlichen Herd in Isernhagen, wo gemeinsam gekocht wird. Sehr oft türkisches Essen, „es gibt aber auch Sushi-Tage“, sagt Mesih lachend.
Hugh Pierson
Eine Menge Zeit erfordert sein Buchprojekt, das sich mit der Geschichte der inDeutschland stationierten Briten beschäftigt. Zudem ist Hugh Jäger und Polospieler. „Da bleibt mir nicht viel Muße zum Kochen.“ Als Verbindungsoffizierzwischen den britischen Streitkräften und niedersächsischen Behörden hat er viel dafür getan, damit einstige Feinde zu Freunden wurden. Der bisher größte Coup des gebürtigen Londoners: Gemeinsammit der Hannoversch-Britischen Gesellschaft organisierte er 2014 eine historische Kutschfahrt. Sie stellte die Reise des hannoverschen Kurfürsten Georg 1704 zu seiner Krönung nach London nach.

Slawa staunt: „Dieser Riesenkühlschrank! Und erst der Herd! Das kenne ich nur von Profis.“ Sie zeigt auf den großen Gasbrenner, die zwei kleineren Gasflammen, die schwere Eisenplatte. „Die dient zum Braten und funktioniert elektrisch“, erklärt der Gastgeber Mesih Beken. „Die Küche scheint dein Steckenpferd zu sein“, sagt die 22-jährige Computerspezialistin bewundernd. Auch Nachbar und Nachtischkoch Hugh Pierson, mit Familie Beken seit 13 Jahren durch viele gemeinsame Feiern eng verbunden, kennt Mesihs Kochkunst. „Allein euer wahnsinniger Vorrat an Küchenmaschinen ist für mich ein Phänomen“, sagt Hugh Pierson und berichtet Slawa von der großen Do-it-yourself-Passion seines türkischen Freundes. Bei diversen Umzügen hat er die Küchenmöbel ab- und wieder aufgebaut und neuen Gegebenheiten gekonnt angepasst. „Ich brauche Hilfe“, ruft Slawa. „Für meinen Festtagssalat muss jede Menge geschnippelt werden.“

Die beiden Männer haben sich mit Holzbrett und scharfen Messern bewaffnet. „Zwiebelgeruch mag ich nicht“, verkündet Hugh. „Kein Problem“, meint Mesih, „wir Türken mögen Zwiebeln.“ Hack-hack-hack: Wie ein Profikoch setzt er das Messer an. Schnell ist die Arbeit erledigt, und er spült für sein Iskender Kebap die Lammkeule ab, tupft sie trocken, reibt sie mit Salz ein und schiebt sie in den vorgeheizten Ofen.

Er dreht die Musik lauter. Aus den großen Boxen tönt eine mitreißende Jazz-Swing-Mischung. „Ich liebe diese Musik.“ Slawa schaut beglückt in die Runde: „Da geht die Küchenarbeit doch viel schneller von der Hand.“ Sie sieht das Schlagzeug in der Ecke stehen. „Mesih, wir könnten eine Session machen: du die Percussion, ich Gitarre und Hugh bläst Waldhorn.“ Die drei stellen sich vor, wie das klingen könnte, und müssen lachen.

Mesih hat derweil schon die Tomaten überbrüht, geschält und entkernt. Im Hintergrund wirbelt Annegret, die Hausherrin, spült, reicht Kochlöffel, Schüsseln, Teller und erzählt nebenbei, dass Kochen in der großen Familie oft Gemeinschaftswerk ist. „Wir haben in unserer langen Ehe bestimmt schon 100.000 Böreks gebacken. Stimmt‘s?“ Mesih nickt. „Auf Partys sind die Zigarren aus Yufkateig, gefüllt mit Schafskäse, Hackfleisch oder Spinat, immer der Renner.“ Seine Annegret sei genauso verrückt aufs Kochen wie er, freut sich der ehemalige Tänzer. „Einmal hat ein italienisches Kochbuch sie so begeistert, dass wir schnurstracks nach Umbrien fuhren, bei dieser Köchin dinierten und einen elf Kilo schweren Schinken mit nach Hause brachten.“

Slawa möchte nun noch unbedingt ihre Pampushkis backen: Knoblauchbrötchen, die in der Ukraine in jedem Restaurant zum Borschtsch oder Salat gereicht werden. Das Geheimnis dieser Brötchen ist das Topping. Salz, Öl, gehackte Knoblauchzehen und klein geschnittener Dill werden mit Wasser zu einem Guss vermischt und auf die frisch gebackenen Hefebrötchen gegeben. Während Mesih die Lammkeule in dünne Streifen schneidet und Slawas Pampushkis im Backofen aufgehen, gibt Hugh die Beeren mit Zucker und Rotwein in den Kochtopf. „Ein bisschen Sommerglück kann im Dezember nicht verkehrt sein“, meint er. „Tiefgefrorene Früchte machen sich genauso gut wie frische.

Wir Engländer geben dem Nachtisch immer den Vorrang“, erzählt Hugh und berichtet vom sensationellen Erfolg der „The Great British Bake Off-Show“. Amateure standen mit Desserts, Torten und Gebäck im Wettstreit und brachen alle Quotenrekorde im britischen Fernsehen. „Ich liebe es aber auch, in London Chinesisch zu essen oder das legendäre Curry der indischen Küche zu probieren.“ Akribisch schneidet er das Toastbrot in dünne Scheiben, befreit es von den Rändern, legt damit eine Schüssel aus, gibt Obst und Saft über das Brot und deckt die Schüssel mit Brotscheiben ab. Diese Schüssel schiebt er beiseite, öffnet Mesihs Kühlschrank und präsentiert einen fertigen „Summerpudding“. „Das ist die Luxus- version, gestern schon zubereitet.“

Die Musik swingt, die Köche füllen die Teller. Alle verdrehen vor Glück die Augen. „Und wie das alles gleich nach Heimat und Kindheit schmecken wird!“

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