Über den Tellerrand
Die Rendsburger Initiative „Über den Tellerrand“ bringt unterschiedliche Kulturen zusammen, um gemeinsam Spaß beim Kochen zu haben. Dieses Mal darf Hierleben dabei sein, als starke Frauen aus Brasilien, Lettland und der Ukraine am Herd stehen – und als sympathisches Trio traditionsreiche Gerichte zaubern.
Foto(s): Henrik Matzen
Claudia Martins
Aufgewachsen ist Claudia in Rio de Janeiro. „Freiheit, viele Farben, Natur – und jeden Tag scheint die Sonne“, erinnert sich die 54-jährige Mutter von Zwillingen lächelnd. Was geblieben ist, ist das brasilianische Feuer in ihrem Inneren: Claudia erzählt munter aus ihrer Heimat und trägt die Sonne weiter im Herzen. Ihrer jetzigen norddeutschen Zweitheimat kann die gelernte Juristin viel abgewinnen: „Der Himmel ist hier so schön weit“, schwärmt sie. Bei ihren vielen Laufrunden hat sie Zeit, ihren Blick schweifen zu lassen und Kraft zu tanken.
Agita Petri
Es sollte eigentlich nur ein Au-PairAufenthalt in Deutschland werden. Ein bisschen Geld verdienen neben dem Studium der Psychologie und Pädagogik im lettischen Riga. Nun ja, manchmal kommt die Liebe dazwischen: „Ich habe meinen Mann in der Nähe von Flensburg kennengelernt und bin geblieben.“ Heute ist die blonde, humorvolle Agita 41 Jahre alt, hat zwei fast erwachsene Söhne und backt als Erzieherin gern lettische Kekse mit Kindern aus Rendsburg. Agita macht heute das Hauptgericht, bei dem sich alles um Erbsen dreht.
Kateryna Pysmenna
Kateryna, genannt Katja, ist mit 29 Jahren die jüngste im Kochtrio. 2019 kam sie aus dem ukrainischen Kherson nach Rendsburg. „Mein Mann hat hier Arbeit gefunden“, erzählt Katja. Sie selbst war in ihrer Heimat Lehrerin für Russisch und Literatur. Jetzt arbeitet sie im Rathaus und hilft ukrainischen Menschen bei allem, was anliegt. Fragt man die ruhige, sympathische Frau nach ihren Hobbys, erzählt sie lachend: „Ich konstruiere Flugzeugmodelle aus Bausätzen.“ Den Kochlöffel kann Katja aber mindestens genauso gut schwingen.

Gekocht wird heute im Grundbildungszentrum der Volkshochschule Rendsburg. Schöne, große Räume, eine luftige Küche und dazu Menschen aus mehreren Nationen, die „über den Tellerrand“ hinausgucken möchten. Die Lettin Agita war als erste da, denn ihre Erbsen brauchen lange zum Garen. „Graue Erbsen mit Zwiebeln und Speck sind ein Klassiker in der lettischen Küche, aber ich habe hier leider keine grauen Erbsen bekommen“, bedauert die 41-Jährige. Grüne tun es aber auch. Das runde Gemüse tummelt sich schon im großen Kochtopf, und Agita schöpft immer wieder den Schaum ab. Auch Katjas Nachspeise aus der Ukraine dauert etwas länger. Für ihre Kutja müssen Weizenkörner in Wasser eingeweicht werden. Und auch die getrockneten Früchte wie Aprikosen, Kirschen und Birnen für den Saft namens Uzvar werden zuvor in Wasser eingelegt. „In der Ukraine kochen wir viel mit getrockneten Früchten. Meine Nachspeise heute wird gern bei Festen gemacht. Sie steht für Erfolg, Ruhe, Unsterblichkeit und Glück.“

Einweichen muss Claudia nichts. Die Brasilianerin hantiert dafür ordentlich mit einem Messer, denn alles für ihren Salat muss in feine Streifen geschnitten werden: Kartoffeln, Paprika, Möhren und geräucherte Putenbrust. Akribisch erledigt die 54-Jährige ihre Arbeit, lässt sich helfen von ihrer Tochter und von weiteren Besuchern aus Syrien. Fröhlich erzählt sie aus ihrem Leben. Von ihren Umzügen nach Bayreuth und Mannheim, von der zwischenzeitlichen Rückkehr nach Südamerika und von ihrer jetzigen Heimat in Schleswig-Holstein. Claudia engagiert sich gern ehrenamtlich und mag es, anderen Menschen zu helfen. Agita ist immer noch mit ihren Erbsen beschäftigt – was auch daran liegt, dass Katja zwischendurch aus Versehen die Herdplatte ausgeschaltet hat. Die beiden nehmen es mit Humor. Es wird also noch ein bisschen dauern, ehe Agita durchwachsenen Speck und Zwiebeln anbraten und unter die pürierte Erbsenmasse heben kann. „Früher gab es das Gericht bei uns überall: im Kindergarten, in der Schule – ich hatte es irgendwann über.“ Aber heute mag sie es wieder. Agita erzählt von ihrer Heimatstadt Riga, von den deutschen kulturellen Einflüssen, von der Gemütlichkeit der lettischen Hauptstadt. Und plötzlich sagt Katja, die Agita vor diesem Kochabend gar nicht kannte: „Riga ist meine Lieblingsstadt. Ich war schon dreimal da und könnte mir sogar vorstellen, mit meinem Mann dahin auszuwandern.“ Agita ist sprachlos, fängt sich aber schnell wieder. Begeistert holt sie ein rot-weißes Fähnchen aus Lettland hervor, und die beiden Frauen schwärmen von Riga. „Wir haben viele kleine Läden dort und coole Clubs und Discos – das zieht viele Menschen an.“ Agita beschreibt die offene Art der Menschen aus Lettland: „Bei uns zu Hause wurde immer einfach geklingelt. In Deutschland musste ich erstmal damit klarkommen, dass man hier Termine macht.“ Gelächter in der Küche, denn das scheinen viele Ausländer so zu empfinden.
Die drei Köchinnen stellen noch eine Gemeinsamkeit fest: In allen drei Ländern wird viel Fleisch gegessen. Katja erzählt von ihrer Oma, die früher in der Ukraine Enten und Hühner gehalten hat. Das Fleisch wurde direkt verwertet. Und Claudia lässt die anderen wissen, dass Brasilianer auf die deftige Küche stehen. „Alles ist gut gewürzt. Vor allem im Norden des Landes essen wir gern scharf.“ Schwarze Bohnen und Reis sind meist dabei. Während in der Rendsburger Volkshochschule geschnippelt, gebraten und püriert wird, läuft Monika Hefner von der Initiative „Über den Tellerrand“ mit einem fröhlichen Lächeln durch die Räume, hilft hier und da und versucht, alle internationalen Hobbyköche einzubinden. „Nichts verbindet so gut wie Kochen“, findet sie und freut sich, dass etliche Ehrenamtliche seit Jahren bei dem Projekt mitmachen. Zum Schluss wird der große Tisch gedeckt, und es gibt viele Ahs und Ohs zu den unterschiedlichen Gerichten. Über den Tellerrand zu schauen, ist inspirierend – und auch richtig lecker.
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