Immer mehr Leute kommen in die Küche. Soraya hat ihren Sohn Ragnar mitgebracht, und Arne, der die beiden gefahren hat, schaut zur Begrüßung auch kurz herein. Suheda kommt mit Tochter und Mutter: Nisa-Hüma, sieben Monate alt, ist dabei und Mutter Nuran, die die wonnige Kleine während des Kochens betreut. Nur Gualtiero ist allein. Gut gelaunt erklärt er, dass er typisch italienisch kocht – nämlich Ćevapčići. Wie bitte? Typisch italienisch? „Na klar! In Triest, meiner Heimat, ist das ein traditionelles Gericht. Die Küche ist von Kroatien und Slowenien beeinflusst, und die Region gehörte mehr als 500 Jahre zu Österreich-Ungarn!“ Ćevapčići gebe es oft bei Grillfesten von Sportvereinen, berichtet er. „Dann kommen lauter Städter und schlagen sich den Bauch voll – und das füllt die Kassen der Vereine.“
Suheda ist spontan für eine erkrankte Landsfrau bei der Kochrunde eingesprungen. Damit hat sie nicht nur allen die lang geplante Verabredung gerettet, sie hat sogar den Rezeptvorschlag übernommen und am Vortag in aller Eile eingekauft. Auf Türkisch spricht sie kurz mit ihrer Mutter die richtige Wassermenge für den Sirup ab. „Ich backe am liebsten Cheesecakes in allen möglichen Varianten und nicht unbedingt türkische Gerichte“, verrät sie. „Als Kind waren mir die türkischen Backwaren oft zu süß, aber heute schmecken sie mir sehr gut!“ Soraya hat den einfachen Teig für ihre Empanadas schon am Vortag zubereitet und bringt, fein säuberlich auf Quadrate aus Backpapier geschichtet, sehr dünn ausgerollte Fladen mit. „Sie sollten mindestens zwölf Zentimeter Durchmesser haben“, empfiehlt sie. „Sonst passt nicht genug Füllung hinein.“ Auch die Zwiebeln, eine große Schüssel voll, hat sie bereits geschnitten: „Dann müssen wir hier nicht weinen.“ Empanadas seien die argentinische Vorspeise überhaupt, erklärt sie: „Es gibt sie auch mit Mais, Hähnchen oder Käse und Schinken gefüllt. Aber mit Hackfleisch schmecken sie mir am besten.“ Der achtjährige Ragnar hilft ihr beim Schnippeln und pellt geduldig die hart gekochten Eier, während Soraya schon am Herd steht.
Sie hat einen ganzen Kasten voll mit Gewürzen mitgebracht und gibt sie löffelweise beherzt in die Pfanne. Alle schmunzeln, als Gualtiero und Soraya fast gleichzeitig an ihre Fleischmischungen Paprika edelsüß und Kreuzkümmel geben. „Im Original gehören an Ćevapčići drei Sorten Hackfleisch, aber man kann Schweinefleisch weglassen oder auch Lammfleisch, wenn man es nicht bekommt oder mag“, so der Tipp des Italieners. „Manchmal lasse ich auch Kreuzkümmel weg und nehme stattdessen Rosmarin – dann bekommt das Fleisch eine mediterrane Note.“ Während Suheda Kugeln und Gualtiero wurstartige Gebilde rollen, unterhalten sie sich angeregt über Politik und die bunte Vielfalt unserer Gesellschaft. „Halt“, ruft Gualtiero plötzlich und wirft alles zurück in die Schüssel. „Ich habe Zwiebeln und Knoblauch vergessen!“ Das kann bei einem guten Gespräch schon einmal passieren …
„Bei mir wird es jetzt interessant: repulgue!“, kündigt Soraya an – und meint das kunstvolle Flechten der Empanadas. Sie gibt Fleisch in die Mitte eines Fladens, klappt die Hälften hoch und fängt an, laut zu zählen. „1, 2, 3 und 4.“ Dabei drückt und faltet sie gekonnt viermal den Rand zusammen. „Man kann den Rand auch mit einer Gabel eindrücken. Aber bei meiner Oma Teresa wäre das nicht durchgegangen“, sagt sie und lacht. Ragnar beherrscht „repulgue“ auch schon sehr gut. „Die sehen ja aus wie kleine Drachen“, ruft Gualtiero. Suheda begießt die leicht abgekühlten Grießkugeln vorsichtig mit dem Sirup. „Oh nein, jetzt rutschen die Mandeln weg“, seufzt sie, aber das ist schnell wieder gerichtet. Gualtiero muss noch den Spitzkohl auswringen. Er nimmt immer eine Handvoll und drückt mit viel Kraft reichlich Flüssigkeit heraus. Dann stampft er die Kartoffeln im Topf und brät sie mit Zwiebeln an. Für alle Geschmäcker eine Hälfte mit Speck, eine Hälfte ohne. Bald sitzt die internationale Runde am Tisch und lässt sich das Essen schmecken – fast wie eine große Familie. Nur die kleine Nisa-Hüma schläft friedlich auf dem Sofa nebenan.
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