Volle Küche, großer Tisch
Wenn sich viele Leute in einer Küche treffen, wird es gemütlich – nicht nur bei einer Party, sondern auch bei einer Hierleben-Kochrunde. Offenheit, Interesse, Respekt und Humor sind die besten Zutaten, sodass aus Fremden schnell eine Gemeinschaft wird.
Foto(s): Henrik Matzen
Soraya Pessi-Hanover
Ihr Urgroßvater wanderte im vergangenen Jahrhundert von Hannover aus, ihre Urgroßmutter kam aus Italien nach Südamerika: Soraya trägt ihre Familiengeschichte im Namen. Sie selbst ist in Argentinien geboren, zog mit zehn Jahren mit ihren Eltern nach Barcelona und kam vor 14 Jahren nach Deutschland. Heute ist die Spanischdozentin in Schleswig zu Hause. Mit einem zweiten Standbein ist die 39-Jährige Autorin. Gerade schreibt sie an der Fortsetzung ihres ersten Kinderbuchs „Lily y la fábrica de ideas“ („Lily und die Ideenfabrik“).
Gualtiero Danieli
„Ich wollte einfach mal weg“, antwortet Gualtiero aus Triest mit einem Grinsen auf die Frage, warum er Italien im Alter von 17 Jahren verließ. Dass er nach Deutschland kam, genauer gesagt nach Eckernförde, lag an dem Jobangebot, das ihm nach seiner Ausbildung zum Koch über den Weg lief: Zwei Jahre lang arbeitete er in einer italienischen Eisdiele, dann als Kellner in einer Pizzeria und später in einem Baumarkt. Seit einer Umschulung ist er Raumausstatter. Mit seiner Familie lebt der quirlige 58-Jährige in Fleckeby.
Suheda Pinarbasi
„Du kannst einfach Su sagen, wenn es leichter ist“, stellt Suheda sich vor. Den Bachelor im Lehramtstudium für Biologie und Chemie hat sie schon in der Tasche. Bevor es mit dem Masterstudium weitergeht, macht sie Elternzeit, denn vor sieben Monaten sind sie und ihr Mann Eltern der süßen Nisa-Hüma geworden. Mit ihren Eltern und Brüdern spricht Suheda türkisch, mit Freundinnen und ihrem Ehemann deutsch, und ihre Tochter wächst mit beiden Sprachen auf. Die 27-Jährige ist in Schleswig geboren und wohnt jetzt in Uni-Nähe in Flensburg.

Immer mehr Leute kommen in die Küche. Soraya hat ihren Sohn Ragnar mitgebracht, und Arne, der die beiden gefahren hat, schaut zur Begrüßung auch kurz herein. Suheda kommt mit Tochter und Mutter: Nisa-Hüma, sieben Monate alt, ist dabei und Mutter Nuran, die die wonnige Kleine während des Kochens betreut. Nur Gualtiero ist allein. Gut gelaunt erklärt er, dass er typisch italienisch kocht – nämlich Ćevapčići. Wie bitte? Typisch italienisch? „Na klar! In Triest, meiner Heimat, ist das ein traditionelles Gericht. Die Küche ist von Kroatien und Slowenien beeinflusst, und die Region gehörte mehr als 500 Jahre zu Österreich-Ungarn!“ Ćevapčići gebe es oft bei Grillfesten von Sportvereinen, berichtet er. „Dann kommen lauter Städter und schlagen sich den Bauch voll – und das füllt die Kassen der Vereine.“

Suheda ist spontan für eine erkrankte Landsfrau bei der Kochrunde eingesprungen. Damit hat sie nicht nur allen die lang geplante Verabredung gerettet, sie hat sogar den Rezeptvorschlag übernommen und am Vortag in aller Eile eingekauft. Auf Türkisch spricht sie kurz mit ihrer Mutter die richtige Wassermenge für den Sirup ab. „Ich backe am liebsten Cheesecakes in allen möglichen Varianten und nicht unbedingt türkische Gerichte“, verrät sie. „Als Kind waren mir die türkischen Backwaren oft zu süß, aber heute schmecken sie mir sehr gut!“ Soraya hat den einfachen Teig für ihre Empanadas schon am Vortag zubereitet und bringt, fein säuberlich auf Quadrate aus Backpapier geschichtet, sehr dünn ausgerollte Fladen mit. „Sie sollten mindestens zwölf Zentimeter Durchmesser haben“, empfiehlt sie. „Sonst passt nicht genug Füllung hinein.“ Auch die Zwiebeln, eine große Schüssel voll, hat sie bereits geschnitten: „Dann müssen wir hier nicht weinen.“ Empanadas seien die argentinische Vorspeise überhaupt, erklärt sie: „Es gibt sie auch mit Mais, Hähnchen oder Käse und Schinken gefüllt. Aber mit Hackfleisch schmecken sie mir am besten.“ Der achtjährige Ragnar hilft ihr beim Schnippeln und pellt geduldig die hart gekochten Eier, während Soraya schon am Herd steht.
Sie hat einen ganzen Kasten voll mit Gewürzen mitgebracht und gibt sie löffelweise beherzt in die Pfanne. Alle schmunzeln, als Gualtiero und Soraya fast gleichzeitig an ihre Fleischmischungen Paprika edelsüß und Kreuzkümmel geben. „Im Original gehören an Ćevapčići drei Sorten Hackfleisch, aber man kann Schweinefleisch weglassen oder auch Lammfleisch, wenn man es nicht bekommt oder mag“, so der Tipp des Italieners. „Manchmal lasse ich auch Kreuzkümmel weg und nehme stattdessen Rosmarin – dann bekommt das Fleisch eine mediterrane Note.“ Während Suheda Kugeln und Gualtiero wurstartige Gebilde rollen, unterhalten sie sich angeregt über Politik und die bunte Vielfalt unserer Gesellschaft. „Halt“, ruft Gualtiero plötzlich und wirft alles zurück in die Schüssel. „Ich habe Zwiebeln und Knoblauch vergessen!“ Das kann bei einem guten Gespräch schon einmal passieren …
„Bei mir wird es jetzt interessant: repulgue!“, kündigt Soraya an – und meint das kunstvolle Flechten der Empanadas. Sie gibt Fleisch in die Mitte eines Fladens, klappt die Hälften hoch und fängt an, laut zu zählen. „1, 2, 3 und 4.“ Dabei drückt und faltet sie gekonnt viermal den Rand zusammen. „Man kann den Rand auch mit einer Gabel eindrücken. Aber bei meiner Oma Teresa wäre das nicht durchgegangen“, sagt sie und lacht. Ragnar beherrscht „repulgue“ auch schon sehr gut. „Die sehen ja aus wie kleine Drachen“, ruft Gualtiero. Suheda begießt die leicht abgekühlten Grießkugeln vorsichtig mit dem Sirup. „Oh nein, jetzt rutschen die Mandeln weg“, seufzt sie, aber das ist schnell wieder gerichtet. Gualtiero muss noch den Spitzkohl auswringen. Er nimmt immer eine Handvoll und drückt mit viel Kraft reichlich Flüssigkeit heraus. Dann stampft er die Kartoffeln im Topf und brät sie mit Zwiebeln an. Für alle Geschmäcker eine Hälfte mit Speck, eine Hälfte ohne. Bald sitzt die internationale Runde am Tisch und lässt sich das Essen schmecken – fast wie eine große Familie. Nur die kleine Nisa-Hüma schläft friedlich auf dem Sofa nebenan.
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