Ist das etwas Süßes?” Wan-Yings achtjährige Tochter Marta ist auf einen Stuhl geklettert und lugt über den Küchentresen. Gespannt guckt sie Alexandra an, die fluffige Eischneewölkchen in leicht blubbernde Milch gleiten lässt. Alexandra hat prompt die perfekte Antwort parat: „Das ist ein bisschen wie Zuckerwatte. Nur anders.” Marta stellt das für den Moment zufrieden, während Alexandra der Runde interessante Hintergründe zu ihrem gerade entstehenden Nachtisch liefert: Viele portugiesische Rezepte stammen aus Klöstern. Zucker und Gewürze waren beliebte Geschenke an die Orden, und in Frauenklöstern wurden große Mengen Eiweiß zum Stärken der Hauben benötigt. In der Folge war viel Eigelb übrig, wodurch Rezepte auf Eigelbbasis entstanden. Diese Rezepte etablierten sich; später war der hohe Eigelbverbrauch dann der Grund für weitere Speisen, in denen man wiederum das nun im Überfluss vorhandene Eiweiß verarbeiten konnte. Eines dieser typischen Eiweißdesserts sind Farófias, also jene Wölkchen, die da gerade in der Milch baden und von deren zunächst fragil wirkender Konsistenz man sich beim Garen nicht irritieren lassen darf.
Ohne sich vorher abzusprechen, haben auch Wan-Ying und Jolanta, die sich der Hauptspeise annimmt, sehr traditionelle Gerichte gewählt: Aus Taiwan gibt’s mit Gemüse gefüllte Maultaschen als Vorspeise. Aus Polen kommen kleine Kartoffelklöße, die, wie Jolanta weiß, sehr typisch sind für ihre Heimat. „Kopytka sind ein günstiges Gericht, das man süß und herzhaft essen kann, zum Beispiel auch im Winter mit Pilzen und Fleisch dazu.” Heute allerdings gibt’s eine vegetarische Variation mit einem liebevoll angerichteten Rucolasalat, Rote-Bete-Ziegenkäse-Burgern und einem Parmesancracker obendrauf. Das gewisse Etwas dabei sind Walnüsse, denn: „Rote Bete liebt Walnüsse”, erklärt Jolanta.
Wan-Ying hackt unterdessen unermüdlich Gemüse: Möhren, Chinakohl und braune Champignons werden kleiner und kleiner. Dazu gesellen sich ebenfalls fein zerteilte Glasnudeln und weicher Tofu. „Die Maultaschen kann man prima gemeinsam mit Kindern zubereiten”, wirft die Gastgeberin ein und rollt die ersten kleinen Teiglinge aus. Sie hat sich für dieses Gericht entschieden, weil es in Taiwan sowohl Vor- als auch Hauptspeise sein kann und absolut typisch ist. Um es mit Wan-Yings Worten zu sagen: „Das ist wie Currywurst in Deutschland; das gibt es in Taiwan überall.”
Alexandra ist neugierig geworden. Sie hat inzwischen die Milch, in der ihre Wölkchen schwammen, weiterverarbeitet und daraus eine Creme gezaubert, auf der die Farófias gleich schweben werden. Nun hat sie einen Moment Zeit und übt sich im Maultaschenformen. Die sollen, wenn sie gefüllt sind, stehen können „wie kleine Säckchen”, leitet Wan-Ying sie an. Als die ersten Maultaschen aus der Pfanne gehoben werden, sehen sie schon so knusprig lecker aus, wie sie gleich auch schmecken werden.
Jolanta zirkelt unterdessen die gleichmäßig geformten Kartoffelteigstückchen ins Salzwasser. Zwei bis vier Minuten brauchen diese, bis sie an die Oberfläche kommen, abgeschöpft werden und darauf warten, zusammen mit der duftenden Paniermehl-Butter-Mischung serviert zu werden.
Nun geht alles ganz schnell: Wan-Ying hat nebenbei noch einen bunten Salat aus Tofunudeln mit blanchierten Möhren und Sellerie, Koriander und gerösteter Schalotte gebastelt. Die Töchter Marta und Helia helfen, den Tisch zu decken. Auch Papa Wolfram gesellt sich dazu. Aus Vor-, Haupt- und Nachspeise wird ein Büfett. Alle wollen probieren, am liebsten alles gleichzeitig. Hände treffen sich über Soßenschälchen, hier ein „Oh”, da ein „Mmmh” – Taiwan, Polen, Portugal und Deutschland kommen so natürlich zusammen, als wäre es nie anders gewesen. Bis sich erste Müdigkeit über die Runde legt: Es ist spät geworden an diesem Abend in Kiel. Wohlig warm ist’s in der Stube. Die gewählten Gerichte machen satt. Nun noch etwas aufräumen und den Abwasch erledigen. Dann werden die Schürzen abgelegt, die Gäste entschwinden in die Nacht, und bei Wan-Ying und ihrer Familie kehrt wieder Ruhe ein.
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