Edles vom starken Stör
Beeindruckende Fische schwimmen für ein Hamburger Traditionsunternehmen in großen Teichen im Naturpark Aukrug mitten in Schleswig-Holstein. Vertreter dreier Stör-Arten wachsen hier zum Teil über Jahrzehnte heran, bevor ihnen der Rogen entnommen werden kann. Den veredelt Dieckmann & Hansen seit mehr als 150 Jahren zu erlesenem Kaviar.
Foto(s): Henrik Matzen
Die wertvollsten Mitarbeiterinnen von Dieckmann & Hansen sind um die 30 Jahre alt, 50 Kilogramm schwer, von robuster Gesundheit und sehr entspannt. Einzelne Damen lassen sich fürs Foto von Christian Zuther-Grauerholz, der das Unternehmen mit Werner Sager führt, sogar kurz auf den Arm nehmen. Die Rede ist von kapitalen Stör-Weibchen, die munter wie die sprichwörtlichen Fische im Wasser in den Teichen ihres Chefs leben, zum Teil jahrzehntelang. So lange dauert es, bis die Tiere die optimale Menge an noch unreifem Rogen gebildet haben – dem Rohstoff für das wohl exquisiteste Lebensmittel der Welt, den Kaviar.
Groß und gemächlich
Es gibt eine Menge zu lernen über dieses Produkt, seine Herstellung und Geschichte, und zu den besten Kennern gehört Christian Zuther-Grauerholz. Zunächst schlüpft er in Wathose und -jacke und steht kurz darauf hüfttief in einem der Teiche, in denen der Großvater Karpfen aufzog. „Bis die Kormorane alles weggefressen haben“, berichtet der Agrarwissenschaftler. Als er den Hof erbte, suchte er nach einer Nutzung für die Teiche mit dem hervorragenden Quellwasser – und kam, um eine lange Geschichte sehr kurz zu halten, schließlich auf die Hamburger Traditionsfirma und den Stör. „Das hier ist der Beluga“, sagt Christian Zuther-Grauerholz und schnappt sich eines der Tiere, die er zuvor mit einem Mitarbeiter und einem Netz in einen kleinen Bereich dirigiert hat. Angst vor Bissen muss er nicht haben. Störe sind friedliebende, gemächliche Fische ohne Zähne. Das Schlagen mit der muskulösen Schwanzflosse kann bei der Größe der Fische allerdings unangenehm werden. „Störe gibt es seit mehr als 250 Millionen Jahren. Sie haben die Dinosaurier kommen und gehen gesehen“, so Christian Zuther-Grauerholz. Ihm imponiert diese unvorstellbar lange Evolutionsgeschichte. Im Teich nebenan leben Exemplare des Russischen Störs. Sie gehören wie der Beluga zu den begehrtesten Rogenlieferanten – mit großen Körnern, zarter Schale und variantenreichem Farbspiel. Der kleinere Sibirische Stör braucht eine weniger lange Aufzucht. Sein Rogen ist grau-schwarz und mittelgroß.
Einst aus der Elbe, heute aus Teichfischerei
Als Dieckmann & Hansen im Jahr 1869 in Altona gegründet wurde, schwammen noch Störe in der Elbe. Man befasste sich mit dem Salzen von Fischen aller Art, spezialisierte sich aber schon bald auf den Stör- und Kaviarhandel. Aufgrund intensiver Befischung sank der Störbestand vor Ort um 1900 erheblich. Das Unternehmen reagierte frühzeitig und betrieb zunächst in Ostsibirien und später an der Wolgamündung einen Fischereibetrieb für Störe und Lachse sowie deren Rogen. Vor und nach den Weltkriegen blühte zeitweise der Kaviarhandel. Das Ende der Sowjetunion begründete mit Schwarzhandel und Schmuggel das Ende des Stör-Wildfangs. 1998 wurde der Fang streng reglementiert, seit 2009 darf nach dem Washingtoner Artenschutzabkommen kein Stör mehr aus freien Gewässern gefangen werden.
Traditionelle Veredlung
„2011 konnten wir aus unserer eigenen Teichfischerei die Kaviarproduktion wieder aufnehmen“, berichtet Christian Zuther-Grauerholz. Um den Bedarf bei der internationalen Kundschaft zu decken, kauft Dieckmann & Hansen auch fertig aufgezogene Störe zum Beispiel aus Müritz-Gewässern zu und handelt Ware. Doch im Frühjahr und im Herbst entnimmt der weltweit älteste Händler und Produzent für Kaviar die Störe aus den eigenen Teichen. Sie kommen ein paar Wochen in sandige Lagunen mit kaltem, reinem Wasser. So wird späterer Fremdgeschmack vermieden. Beim Schlachten wird der Rogen entnommen, aber auch das Fleisch verwertet. „Schmeckt köstlich, gebraten oder geräuchert!“, betont der Störexperte, der dem Vorwurf entgegentritt, die Fische würden nur für den Rogen getötet.
Bis zu 15 Prozent des Körpergewichts eines fast laichreifen Störweibchens besteht aus Rogen. Er wird gereinigt und gespült, dann nach guter Tradition mit Lüneburger Salz gesalzen und mit dem Mineral Borax haltbar gemacht. Ab geht’s in große Dosen und bei minus vier Grad einige Monate zum Reifen. Erst danach erfolgt die Abfüllung in die typischen Kaviardosen mit der Aufschrift „Beluga“, „Osietra“ oder „Sibirskaya“. Nur Kleinstmengen schaffen es als besonders heller und großkörniger „Imperial“ in den Handel. Kaviar ist ein Klassiker für die Festtage, darf aber, so findet man bei Dieckmann & Hansen, gern zu vielen besonderen Anlässen serviert werden. Zum stilechten Genuss gehören Perlmutt- oder Hornlöffel und dezentes Beiwerk wie Toast mit Butter, Baguette oder Kartoffelpuffer. Wäre doch schade, wenn andere Aromen dem luxuriösen Star auf dem Teller die Schau stehlen würden.
Erhältlich an den Frischfischtheken in ausgewählten famila-Warenhäusern.
Rezepte