Gericht mit Geschichte
Kenner der guten alten Hausmannskost wissen es schon lange: Gerichte mit Kalbsleber sind ein Hochgenuss und wärmen die Seele. Dennoch führt dieser Bereich des Fleischglücks immer noch eine Art Schattendasein. Höchste Zeit, eine unterschätzte Köstlichkeit ins rechte Licht zu rücken und Appetit zu machen auf die feine Innerei.
Foto(s): Frederik Röh, Henrik Matzen
„Kalbsleber wird von unseren Kundinnen und Kunden gut angenommen. Ich selbst esse sie auch sehr gern, sie ist schön fein und mild im Geschmack. Mein Mann und ich mögen am liebsten Stampfkartoffeln und angeröstete Zwiebeln dazu – echt lecker.“
Kathrin Gadow, Fleischexpertin im Markant-Markt Wismar/Am Hochhaus
Kalbsleber stammt von jungen Rindern im Alter von unter einem Jahr. Sie ist fettarm, besonders zart im Geschmack, hellbraun-rot und hat eine lockere, feine Struktur. Eine ganze Kalbsleber wiegt zwei bis drei Kilogramm, die einzelnen Scheiben bringen zwischen 150 und 250 Gramm auf die Waage. Die für alle Lebergerichte typische – und von Kennern besonders geschätzte – mineralische Note lässt sich gegebenenfalls durch einen einfachen Trick abmildern: Vor der Weiterverarbeitung kommt die rohe Leber für zwei bis drei Stunden in ein Milchbad. Durch das Einlegen werden die Bitterstoffe abgemildert. Ein weiterer Tipp lautet, die Leber vor dem Braten zu mehlieren. Das Mehl bindet das aus dem Bratgut austretende Wasser, sodass keine Fettspritzer entstehen.
Kalbsleber-Orakel
Seit Jahrhunderten ist Kalbsleber weltweit in vielen Kulturen ein beliebter Leckerbissen. Schon die alten Römer schätzten diese Delikatesse und verwendeten sie in verschiedenen Zubereitungen, denn Kalbsleber lässt sich braten, schmoren und auch wunderbar grillen. Darüber hinaus dienten ihnen die Innereien von Tieren – vor allem die Leber – zur Orakelbefragung. Hierbei versuchten Priester, Antworten auf wichtige religiöse und gesellschaftliche Fragen aus dem Organ herauszulesen. Als antike Wahrsager konnten sogenannte Haruspices mithilfe von Kalbsleber und Co. angeblich sogar die Zukunft voraussagen. Und auch die medizinische Nutzung der Kalbsleber gegen Mangelerscheinungen ist aus verschiedenen Kulturen belegt. Innereien sind deutlich nährstoffreicher als Muskelfleisch, und die Leber enthält besonders viele Nährstoffe, da sie als Speicher für Vitamine und Mineralien dient. Besonders hervorzuheben sind Vitamin A, Vitamin B12 und Eisen.
Klassiker aus Ostpreußen
Die Zubereitungsmöglichkeiten für Kalbsleber sind vielfältig: Die Franzosen zum Beispiel bereiten sie gern mit geschmorten Zwiebeln und einem Hauch Essig zu, in Asien wird geschnetzelte Kalbsleber oft mit Ingwer, Limette und Koriander in Sesamöl gebraten, und die italienische Küche verwöhnt Genießer unter anderem mit einem Rezept, das die zart-cremige Innerei mit Zwiebeln, Weißwein und Polenta kombiniert. In Deutschland stammt eine der bekanntesten Zubereitungsarten ursprünglich aus Ostpreußen und kam in der Innereienküche der Nachkriegszeit recht oft auf den Tisch. Der traditionelle „Seelenwärmer“ vereint den charakteristischen Geschmack der Kalbsleber mit säuerlichen Äpfeln, süßen Zwiebeln und Kartoffelstampf. Heute ist dieser Klassiker vor allem als „Leber Berliner Art“ bekannt. Unser Rezept für Kalbsleber mit Apfelsoße auf der folgenden Seite erweitert diese Genusswelt noch um Speck und Rosinen – unbedingt probieren!
Rezept